Dienstag, 25. September 2012

Eine kleine ethische Revolution

In diesen Tagen ist eine kleine ethische Revolution zu beobachten, deren Bedeutung in der öffentlichen Diskussion nicht hinreichend gewürdigt wurde. In den vergangenen Jahren waren sich die Umfragen einig: die Deutschen haben wenig Vertrauen zur Marktwirtschaft, im Gegensatz etwa zu Amerikanern und Briten. Nach Daten des amerikanischen Pew Research Center vom Juli 2012 gehören die Deutschen – und zwar seit Ende der Finanzkrise – zu den stärksten Befürwortern der Marktwirtschaft weltweit. Hierzulande sind 69% der Ansicht, dass es den meisten Menschen in einer Marktwirtschaft besser geht. Nur in China und Brasilien ist die Zustimmung zu dieser Aussage noch höher.

Diese Zahlen spiegeln nicht nur die Zufriedenheit mit einer vergleichsweise guten ökonomischen Situation wieder. Sie zeigen auch, dass die große Mehrheit der Deutschen ihren Frieden mit der Marktwirtschaft gemacht hat. Gewinn und Moral werden nicht länger als notwendige Gegensätze wahrgenommen. Es wird nicht automatisch die Gier der Manager und Eliten für alle Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht. Stattdessen sieht man, dass Marktwirtschaft und Wettbewerb viele ethische Leistungen erbringen und im Dienste aller stehen – wenn man sie mit fairen Regeln versieht.

Die Regeln machen den entscheidenden Unterschied: Schlechte Regeln können den Wettbewerb massiv verzerren, blockieren und behindern. Auf dem Energiemarkt etwa haben wir dies lange beobachten können, hier leistete (und leistet zum Teil noch heute) der schlecht funktionierende Wettbewerb nicht das, was wir aus ethischer Sicht von ihm erwarten. Wir erwarten nämlich vom Wettbewerb, dass er gute und preisgünstige Produkte liefert, dass er Arbeitsplätze schafft, Steuern und Abgaben in die Staatskasse bringt, Innovationen hervorbringt und andere dazu zwingt sie nachzuahmen sowie schließlich auch mehr Integration und Selbstverwirklichungschancen für die Einzelnen bereitstellt. Wenn Regeln dagegen etwa Korruption und Mitnahme-Mentalität belohnen, so werden die einzelnen Akteure zu unethischem Verhalten geradezu angeleitet. Dann kann auch der vielzitierte „ehrbare Kaufmann“ es nicht mehr richten: Er kann nur ehrbar bleiben, wenn er dadurch keine dauerhaften Nachteile erleidet. Ehrbares Verhalten in der Wirtschaft kann deswegen heute nicht mehr als Problem einzelner Persönlichkeiten gesehen, sondern muss als Problem von Regeln verstanden werden. Viele Unternehmen haben dies bereits eingesehen und richten Abteilungen für „Corporate Social Responsibility“ ein. Auch das dient sowohl ökonomischen als auch ethischen Zwecken – womit wieder einmal gezeigt ist: Wirtschaft und Ethik sind keine Gegensätze.

Die Wirtschaftsethik sagt dies seit langem, und auch sie beginnt allmählich, in den deutschen Universitäten auf breiter Front Fuß zu fassen. Und dies ist keine innerwissenschaftliche Angelegenheit mehr, sondern wird von den Unternehmen ausdrücklich gewünscht: laut einer Studie des IW Köln von 2011 fordern 90% aller Unternehmen, Wirtschaftsethik als Pflichtfach in der Managerausbildung zu verankern. Wirtschaftsethik ist damit kein Orchideenfach, sondern trägt konkrete Früchte.

(Erschienen als Gastkommentar in der Fuldaer Zeitung vom 6. September 2012)