Thilo Sarrazin zieht
derzeit mit seinem neuen Erregungsbuch durch die Lande. Den Euro hat er
sich jetzt vorgenommen. Keine Frage: in der Eurozone liegt einiges im
Argen. Der Euro durchlebt eine massive Krise. Dass es mit der
gemeinsamen Währung immer nur eitel Sonnenschein geben würde, konnten
eigentlich auch die engagiertesten Befürworter nie erwarten. Die
ursprüngliche Aufnahme Griechenlands war ein Sündenfall, der nicht hätte
passieren dürfen. Nur: Ist es ein ökonomischer oder ein moralischer
Sündenfall? Ist es gar ein lässlicher ökonomischer Sündenfall, der aus moralisch-gesellschaftlichen Gründen zu verzeihen ist?
In diese argumentative
Falle verrennt sich derzeit die Diskussion um Sarrazin. Wenn er in
seinem Buch behauptet, Deutschland habe den Euro nur als Kompensation
für den Holocaust eingeführt und der Euro habe den Deutschen ökonomisch
nichts gebracht, so provoziert er damit eine bestimmte Reaktion – so
etwa unlängst in der Diskussion mit Peer Steinbrück: Steinbrück wie auch
andere wissen sich nicht anders zu helfen und holen die Moralkeule
heraus. Der Euro sei doch aus übergeordneten
moralisch-gesellschaftlichen Gründen (europäischer Gedanke, Solidarität,
Herstellung vergleichbarer Lebensverhältnisse o.ä.) zu unterstützen und
dürfe nicht einer derart schnöden ökonomischen Analyse unterzogen
werden. Allenfalls verschämt gesteht Steinbrück zu, dass es vielleicht
auch noch ein paar ökonomische Argumente für den Euro gibt.
Es ist das alte Lied: das
„Wirtschaftliche“ muss zum „Moralischen“ gebracht werden. Moral ist
ökonomische Externalität, manche versuchen, sie von außen in die
Ökonomie einzufliegen, durch moralische Appelle, Verurteilung der Gier,
der Gehaltsexzesse, der Maßlosigkeit oder der wildgewordenen Märkte.
Damit gießt man aber Wasser auf die Mühlen derjenigen, die wie Sarrazin
behaupten, sich auf den rein ökonomischen Standpunkt stellen zu wollen
und den Euro gewissermaßen aus Selbstschutzgründen für gescheitert
erklären zu müssen. Ökonomische Sachlogik gegen hehre moralische
Vorstellungen – Vorsicht vor dieser argumentativen Falle! Die Aussagen
der Ökonomik sind komplizierter:
Der Euro hat unzweifelhaft
viele Vorteile, die sich nicht in ganz kurzfristigen Zahlen
niederschlagen. Ökonomik berücksichtigt aber solche Phänomene; sie kann
auch sehr langfristige und vor allem auch „weiche“ Faktoren einer
ökonomischen Analyse unterziehen. Es stimmt einfach ökonomisch nicht,
dass Deutschland vom Euro nicht profitiert hat: Ja, es ist zwar richtig
(wie Sarrazin schreibt), dass die größten Wachstumsbereiche in dem
vergangenen Jahren in anderen Gegenden der Welt lagen, in erster Linie
in Asien. Aber das heißt natürlich nicht, dass wir kein Wachstum im
EU-Handel verzeichnen, nur eben nicht mit den Wachstumsraten, die wir in
China oder Indien erwarten können. Ja, es ist zwar richtig, dass einige
Länder ohne Euro höhere Wachstumsraten aufweisen als Spanien, Italien
oder Griechenland – aber dafür ist nicht der Euro verantwortlich zu
machen, sondern verfehlte Politik in diesen Ländern. Ja, es ist zwar
richtig, dass wir mit der D-Mark wettbewerbsfähig wären, aber der Euro
hat mehr Gewicht in der Welt. Um sich als Faktor gegenüber dem US-Dollar
und demnächst dem Renminbi zu behaupten, würde die D-Mark nicht
ausreichen. Und schließlich: Der Verlust an Vertrauen in eine Währung
ist zwar vielleicht nicht immer bezifferbar – aber dennoch ökonomisch
nicht zu leugnen. Vertrauen hat ökonomische Konsequenzen: Falls der Euro
kollabiert und Anleger in andere Währungen flüchten, so kostet dies uns
alle. Das sind ökonomische Argumente – aber sie haben auch eine
ethische Seite.
Man kann Sarrazins Thesen
nur wirkungsvoll begegnen, wenn man die moralische Argumentation mit der
ökonomischen verknüpft. Die Wirtschaftsethik zeigt seit langem auf,
dass in der ökonomischen Logik und im System der Marktwirtschaft
ethische Qualitäten liegen: Wettbewerb und Markt bringen – wenn man sie
mit geeigneten Regeln versieht –massive ethische Vorteile mit sich. Sie
liefern gute und preiswerte Produkte, Arbeitsplätze, Steuern,
Innovationen bis hin zu Chancen auf mehr Selbstverwirklichung für die
Einzelnen. Das sind nicht nur ökonomische Vorteile, sondern ethische.
Und sie sind notwendig für jede Diskussion, die Moral gegen Ökonomie
ausspielt.
Das heißt: Keine Angst vor
ökonomischen Argumenten in den Debatten um Euro und Griechenland-Krise –
genauso wie in der Debatte um die Occupy-Bewegung: Wo Sarrazin die
ökonomische Karte auszuspielen versucht, versucht es Occupy-Vordenker
David Graeber mit der moralischen Karte: Das Geld sei Wurzel allen
Übels, es schränke die Freiheit der Menschen ein und zerstöre die
Menschlichkeit in der Welt. Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsethik
sind aber in ihrer Aussage eindeutig: Die Marktwirtschaft hat in den
vergangenen zweihundert Jahren das Los vieler Menschen in einer Weise
verbessert, die zuvor undenkbar schien. Die Globalisierung hat, trotz
mancher unzweifelhafter Schwierigkeiten und Hindernisse, in weiten
Teilen der Welt massive Verbesserungen für die Menschen mit sich
gebracht. Ökonomisch ist dies kaum zu leugnen – aber es muss auch als
ethischer Fortschritt erkannt werden.
Gegen Occupy sollte man ökonomisch argumentieren, um ihre Behauptungen moralisch zu entkräften, und ebenso: Man muss Sarrazin ökonomisch schlagen, um ihn moralisch zu schlagen.